Marias Charakter – Verpflichtung zur Sittlichkeit – Teil 2

12/09/2019| IslamWeb

Die Prüfung der Unanständigkeit in persönlicher Distanz

Je mehr jemand einen bestimmten Wert in seinem Leben schätzt und versucht, diesen zu schützen, desto schmerzhafter und verheerender ist es, wenn dieser Wert von jemand anderem verletzt wird. Ich hoffe, dass wir an Maria (Friede sei mit ihr) die ersten Momente der Panik würdigen können, die sie verspürte, als sie nicht wusste, dass Gabriel (Friede sei mit ihm) ein Engel war und sie genau genommen fürchtete, berührt zu werden. Maria (Friede sei mit ihr) ist nicht das einzige Beispiel für Reinheit und Sittlichkeit, dessen persönliche Distanzierung geprüft wurde. Sara, die Frau Abrahams (Friede sei mit ihm), die Allâh der Hocherhabene davor schützte, von einem mächtigen König berührt zu werden, und Joseph (Friede sei mit ihm), den Allâh der Hocherhabene davor schützte von der Frau von Al-Azîz berührt zu werden, sind weitere Beispiele in unserer Geschichte. Jegliche ungewollte aufdringliche sexuelle Behandlung ist eine Art sexuelle Belästigung, und diese historischen Beispiele im Islâm erlebten dies, jeder auf einer gewissen Ebene. Man kann sich nur annähernd das Gefühl der Pein und des Schmerzes vorstellen, die sie in diesen Momenten verspürt haben müssen.

Gleichzeitig sind ihre Geschichten ein Grund zur Hoffnung. In der muslimischen Gemeinschaft gibt es bedauernswerte Geschichten von Schwestern und Brüdern, die den Schmerz und die Pein der Belästigung, der Verobjektivierung und der Zuwiderhandlung zu einem gewissen Grad erlebt haben, während sie unschuldig waren. Als ich einige Opfer persönlich getroffen und gesprochen hatte, bemerkte ich einen Trend, dass sie zu Selbstschuldzuweisung neigten und ein Schamgefühl für etwas verspürten, worüber sie keine Macht hatten. An derartige Schwestern und Brüder lautet meine Botschaft: Bitte lasst euch trösten und erhaltet die frohe Botschaft: Wenn ihr mit Belästigung geprüft wurdet, so wurden Maria, Sara und Joseph (Friede sei mit ihnen) ebenfalls mit diesen schwierigen Momenten der Panik und des Schmerzes geprüft! Und sie gehören zu den am meisten geliebten Geschöpfen Allâhs. Ihr wurdet mit etwas geprüft, mit dem großartige Menschen vor euch geprüft wurden. Es gibt weder einen Grund sich zu schämen noch sich Selbstschuldzuweisung zu erlauben! Vielmehr solltet ihr euch mit dem Gedanken trösten – so Allâh will – eine größere Belohnung und höhere Ränge bei Allâh dem Hocherhabenen zu erhalten!

Der Prophet (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) teilte uns mit: „Alles , was der Muslim an Leid, Schwierigkeit, Angst, Trauer, Schaden und Bedrängnis erfährt, selbst ein Dorn, der ihn sticht, wird ein Mittel für Allâh sein, seine Sünden auszulöschen“ (Al-Buchârî und Muslim).

Vergesst auch nicht, dass die Folgen solcher Prüfungen. obwohl sie lange Zeit schmerzen können, Maria, Sara und Joseph (Friede sei mit ihnen) überstanden haben und ihr es – so Allâh will – genauso überstehen werdet! Diesbezüglich erwähnte der Prophet (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken): „Wisse, dass mit Geduld der Erfolg kommt! Nach der Bedrängnis kommt die Erleichterung und mit der Schwierigkeit kommt die Behaglichkeit!“ (At-Tirmidhî).

Allâh der Hocherhabene Selbst ordnet uns an, den Geduldigen angesichts von Not frohe Botschaft zu verkünden:

„… Doch verkünde frohe Botschaft den Standhaften, die, wenn sie ein Unglück trifft, sagen: »Wir gehören Allâh, und zu Ihm kehren wir zurück«“ (Sûra 2:155-156).

Und der Prophet (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) verkündet euch die frohe Botschaft, dass ihr – so Allâh will – gewiss etwas Besseres dafür bekommt. Er (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) sagte: „Wenn ein anbetender Diener Allâhs von einem Unheil geplagt wird und sagt: »Zu Allâh gehören wir und zu Ihm kehren wir zurück. O Allâh! Belohne mich für diese Prüfung und segne mich mit etwas Besserem!«, wird Allâh ihn gewiss mit etwas Besserem anstelle dessen, was er verloren hat, segnen“ (Muslim).

Stellt euch vor, dass Maria (Friede sei mit ihr) der höchste Rang für eine Frau im Paradies zugeteilt wurde, und man sich heute auf der ganzen Welt an ihre Vornehmheit erinnert! Genauso wie Sara (Friede sei mit ihr) in hohem Alter ein Sohn geschenkt wurde und dieser ein Prophet wurde, während Joseph (Friede sei mit ihm) Befugnis und Macht in Ägypten gegeben und er schließlich mit seiner Familie wiedervereint wurde. All diese Beispiele sind – so Allâh will – Gründe für uns, auf unermesslich Gutes im Diesseits und im Jenseits zu hoffen, wenn wir geduldig ausharren.

Sittlichkeit beim Sprechen

Immer wenn Marias (Friede sei mit ihr) Sprechen im Qurân erwähnt wird, ist ihre Sprache wunderbar. Es gibt eine besonders schöne Aussage, die hier unsere nähere Betrachtung verdient. Als der Engel Gabriel darlegte, wer er ist und dass ihr bald ein Sohn geschenkt werde, antwortete sie: 

„… Wie soll mir ein Junge gegeben werden, wo mich doch kein menschliches Wesen berührt hat und ich keine Hure bin“ (Sûra 19:20).

Schön an ihrer Wortwahl ist die Bezugnahme auf den physischen Akt der Intimität in Form einer sprachlichen Brillanz – dies ist ebenfalls ein Beweis für ihre Sittlichkeit. Ihre Sprache war rein. Gepriesen sei Allâh! Sie benutzte viele Worte, um etwas zu sagen, was mit Leichtigkeit mit weniger Worten gesagt hätte werden können! Brüder und Schwestern: Können wir nicht von Marias schönen anmutigen Manieren und ihrer Etikette profitieren – die über diese Angelegenheit persönlich mit einem Engel sprach und selbst dann nicht zu offen sprach? 

Wir lernen von diesem Beispiel, sittlich zu sprechen, unsere Zungen vor vulgärer Sprache zu schützen und danach zu streben, ethische Manieren zu besitzen. Ein zu klärender Punkt ist, dass Maria (Friede sei mit ihr) das andere Geschlecht nicht gänzlich mied. Sie wurde von Zacharias (Friede sei mit ihm) sowie von anderen Religionsgelehrten der Moschee unterrichtet, da verschiedene Exegese-Werke die Meinung beinhalten, dass die Gebetsnische speziell für sie gebaut wurde, als Ort, den sie nutzen konnte, nachdem ihre Menstruation begann. Dies zeigt, dass sie laut dieser Meinungen das Pubertätsalter erlangt hatte und immer noch von männlichen Lehrern lernte (Tafsîr Ar-Râzî, Band 4, Kapitel 35, S. 188; Tafsîr Al-Qurtubî, Band 4, S. 71f.).

Ein aufzugreifender Punkt ist, dass es einwandfrei ist geradeheraus und respektvoll zu sprechen, wenn es in einer bekannten Umgebung einen Grund für einen Dialog gibt. Dies ist auch am Beispiel der Prophetengefährten und Prophetengefährtinnen zu erkennen (Siehe Tahrîr Al-Mar’a fî ‘Asr Ar-Risâla von Abû Schuqqa, Band 2 Al-Hayât Al-Idschtimâ’iyya).

Ein weiterer zu klärender Grund ist, dass es unumgänglich sein kann, direkte und offene Sprache zu verwenden, um eine notwendige Klarheit zu erlangen, wenn es zur Vermittlung von Wissen, zur Klärung von unerlaubten Angelegenheiten und zu einigen besonderen Ausnahmen bei der Einladung zum Islâm kommt. Die allgemeine Regel für unsere Sprache ist jedoch, wie der Prophet (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) uns lehrte: „Gutes zu sprechen oder zu schweigen“ (At-Tirmidhî). Demut und Sittlichkeit beim Sprechen drücken sich nicht nur in der Angelegenheit der Geschlechterbeziehungen aus, sondern auch darin, Sprache und Töne zu vermeiden, die Hochmut, Anmaßung und ungebührlichen Ärger widerspiegeln. Sie spiegeln sich auch in verbotenem Inhalt wider, wie beispielsweise Lügen, Geschwätz usw.

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