Regeln zum Gehorsam gegenüber den Eltern

11-9-2022 | IslamWeb

Frage:

Meine Mutter verbietet mir Sunna- und Rawâtib-Gebete. Soll ich ihr dabei gehorchen?

Antwort:

Der Lobpreis gebührt Allâh und möge Allâh Seinen Gesandten sowie dessen Familie und Gefährten in Ehren halten und ihnen Wohlergehen schenken!

Wenn die Mutter einen zulässigen Grund hat, warum sie dich von den freiwilligen Gebeten abhält (so z. B. weil sie deine Hilfe oder Unterstützung benötigt) so musst du ihr darin Folge leisten. Hat sie keinen korrekten Grund, so gehorcht man ihr nicht, da sie somit nur aus reiner Laune etwas untersagt hat. Denn damit würde sie dich grundlos von etwas Gutem abhalten. Die Gelehrten haben verschiedene Richtlinien aufgestellt, wann man den Eltern gehorchten soll. Zusammengefasst sind dies drei:

1) Es darf keine sündhafte Handlung sein, da der Prophet sagte: „Keinen Gehorsam gibt es gegenüber einem Geschöpf in Ungehorsam gegenüber dem Schöpfer“ (Ahmad u. a.; sahîh nach As-Suyûtî).
2) Die Eltern müssen einen gültigen Grund haben, wenn sie eine empfohlene (mandûb) oder erlaubte Sache gebieten bzw. wenn bei diesem Befehl noch ein unerwünschter Aspekt (makrûh) dabei ist.
3) Wenn die Eltern etwas befehlen, darf darin kein Schaden für das Kind liegen. Eine ganze Reihe von Gelehrten hat dies so bestätigt. Schaich Al-Islâm Ibn Taimiyya (Allâh erbarme sich seiner) sagte: „Selbst wenn beide Eltern frevelhaft sind, so muss man ihnen gehorchen, solange die Handlung selbst nicht unerlaubt ist. Das ist die offenkundige Bedeutung der allgemeinen Aussage von Ahmad. Dies gilt bei Handlungen, worin für sie beide Nutzen, aber kein Schaden liegt. Sollte es dem Betreffenden schwerfallen, jedoch für ihn darin kein Schaden liegen, so ist er dazu verpflichtet; anderenfalls nicht.“

Allâma Ibn Hadschar Al-Haitamî (Allâh erbarme sich seiner) sagte: „Wenn der Befehl oder das Verbot der Eltern aus reiner Dummheit erfolgen, hält man sich nicht daran. So hatten es die Gelehrten über den Fall dessen gesagt, der seinem Sohn befiehlt, sich von seiner Frau zu scheiden o. ä. Wenn ein Sohn in Enthaltsamkeit (Zuhd) leben und der Vater ihn davon abbringen will, so beachtet man dies nicht, falls der Vater dies aus reinem Mitleid heraus tut – denn das wäre unklug. Wenn der Vater seinem Sohn befiehlt, eine erlaubte Handlung auszuführen, worin keine Erschwernis für den Sohn liegt, so muss dieser dem Befehl nachkommen, falls ihm (dem Vater) eine nicht unerhebliche Erschwernis daraus erwächst, sollte sich er (der Sohn) nicht daranhalten. Denn hier würde wieder jeder klar denkende (Außenstehende) entscheiden, dass die Anweisung seitens des Vaters nicht aus reiner Laune und mangelnder Vernunft erfolgt sei. Ich möchte die Entscheidung mancher späterer Gelehrter zum Fall des Ungehorsams einschränken. Denn nach diesen solle man ausführen, was der Vater befiehlt, auch wenn es zu einer erheblichen Belastung führt, die aber nach der herrschenden Sitte tragbar ist. Ist die Belastung aber derart, dass sie nicht entschuldbar ist und der Vater aus schlechtem Charakter und mangelnder Vernunft den Befehl erteilt, so wird dem keine Beachtung geschenkt. Und wenn (er) nicht (aus mangelnder Vernunft) den Befehl erteilt, so müsse der Sohn sich von seiner Ehefrau scheiden.
Wenn man fragt, was dann sei, wenn die Eltern ihr Kind rufen, das sich im Gebet befindet, so gibt es verschiedene Ansichten über die Notwendigkeit, hier Folge zu leisten. Die korrekteste Ansicht besagt, dass Gehorsam notwendig ist, wenn es sich um freiwillige Gebete handelt und (die Eltern) davon Belastung in der erwähnten Form davontragen würden. Wenn eine solche Belastung vorliegt, so muss man Folge leisten auch bei jemandem, der sich gerade um Wissen bemüht oder (Handlungen der) Enthaltsamkeit ausführt oder Ähnliches, was als Annäherung (an Allâh) gilt. Dazu sage ich, dass diese Angelegenheit eingeschränkt wird durch das, was wir erwähnt haben: Bedingung für diese Belastung ist, dass es (der Befehl) nicht aus reiner Unwissenheit erfolgt. Immer wieder habe ich bemerkt, wie Eltern von ihren Kindern Dinge verlangen, die unvernünftig sind, so dass jeder, der davon hört, davon ausgehen würde, dass das Kind hier entschuldigt sein müsse und der Vater im Unrecht sei. So etwas ist nicht auszuschließen. Hieraus versteht man, dass ein Kind nicht den Befehl seines Vaters ausführen muss, der ihn zu einer bestimmten Ansicht verpflichten will. Hierin liegt kein korrekter Grund vor, und es ist reine Willkür. Trotz alledem sollte sich das Kind davor hüten, seinem Vater zu widersprechen. So etwas soll er nicht wagen, damit es nicht zu dem Erwähnten komme. Er soll sich vielmehr aufrichtig bemühen. Denke darüber nach, denn es ist wichtig.“

Al-Hâfidh Ibn As-Salâh schreibt in seinen Fatâwâ: „Zur Frage, was Widerspenstigkeit (gegenüber den Eltern) ist, sagen wir, dass jede Handlung verboten ist, wodurch der Vater o. ä. Unangenehmem in nicht unerheblichem Maße ausgesetzt wird, falls es sich um Handlungen handelt, die nicht verpflichtend sind. Es wird auch gesagt, dass der Gehorsam gegenüber den Eltern Pflicht ist in allem, worin keine Sünde liegt. Sich den Befehlen der Eltern zu widersetzen ist Widerspenstigkeit (Uqûq). Viele Gelehrte haben den Gehorsam gegenüber ihnen selbst dann vorgeschrieben, wenn zweifelhafte Dinge impliziert sind. Die Aussage mancher Gelehrten, dass es erlaubt sei, zum Studium oder für Handel zu verreisen, ohne dass beide Eltern es erlauben, diese Aussage steht nicht im Widerspruch zu den Aussagen unserer Gelehrten. Denn dieses Wort ist allgemein gemeint und in dem von mir Erwähnten wird klargestellt, wie diese allgemeine Aussage einzuschränken ist.“

Der Mudschtahid-Imâm Ibn Daqîq Al-Îd (Allâh erbarme sich seiner) schreibt in „Ihkâm Al-Ahkâm Scharh Umda Al-Ahkâm“: „Ungehorsam gegenüber den Eltern zählt in diesem Hadîth zu den größten Sünden. Zweifellos ist so etwas von gewaltigem Unheil, da das Recht der Eltern auch gewaltig ist. Allerdings ist es nicht leicht, die Verpflichtung zum Gehorsam gegenüber ihnen sowie das Verbot der Widerspenstigkeit genau zu regeln. Es gibt verschiedene Grade des Ungehorsams. Unser Schaich, Imâm Abû Muhammad ibn Abdussalâm, sagte: ‚Beim Thema Widerspenstigkeit gegenüber den Eltern und durch welche Rechte sich diese auszeichnen, habe ich keinen Maßstab gefunden, auf den man sich stützen kann. Was gegenüber außenstehenden Personen verboten ist, ist auch bei ihnen (den Eltern) verboten. Was gegenüber Außenstehenden geboten ist, ist auch ein Gebot gegenüber ihnen. Ein Kind muss nach übereinstimmender Gelehrtenmeinung nicht in allem gehorsam sein, was ihm die Eltern befehlen oder ihm verbieten. Es wurde einem einem Sohn untersagt, ohne ihre Erlaubnis in den Dschihâd zu ziehen, da es für sie sehr schwer erträglich ist, ständig in der Befürchtung seines Todes zu leben oder zu erfahren, dass er einen Körperteil verloren habe. Zu diesem Fall werden alle Formen von Reise untergeordnet, in denen beide um sein Leben oder die Unversehrtheit des Körpers fürchtet. Beide Eltern sind gleich in Fürsorge hinsichtlich Versorgung, Kleidung und Wohnung.“

Die Fiqh-Gelehrten haben nur Details erwähnt und sich nur vereinzelt hierzu geäußert. Aus alldem kann kein umfassender Maßstab abgeleitet werden. Es ist nicht abwegig, dass man hierbei dem folgt, worauf wir bei den großen Sünden hingewiesen haben: Masâlih (Dinge von allgemeinem Interesse und Nutzen) werden durch solche Masâlih begründet, zu deren Zweck sie vorgeschrieben wurden. Mafâsid (schädliche Dinge gegen das allgemeine Interesse) werden abgelehnt durch solche Mafâsid, zu deren Zweck sie verboten wurden.
Der Hadîth-Gelehrte Allâma Badrudddîn Al-Ainî schreibt: „Schaich Taqiyyuddîn As-Subkî (Allâh erbarme sich seiner) sagte: ‚Der Maßstab für Widerspenstigkeit gegenüber den Eltern ist Schaden, egal in welcher Form: egal ob wenig oder viel, ob sie die besagte Handlung verboten haben oder nicht, egal ob es (das Kind) ihnen in etwas widerspricht, was sie ihm aufgetragen oder es verboten haben – (all das ist Widerspenstigkeit) unter der Voraussetzung, dass damit keine Sünde verbunden ist. Er überlieferte auch die Aussage von Al-Ghazâlî, dass die meisten Gelehrten sogar Gehorsam gegenüber den Eltern in zweifelhaften Angelegenheiten vorschreiben.“ Er stimmt beiden zu und berichtet auch von dem mâlikitischen Gelehrten At-Tartûsî. Wenn die Eltern dem Kind mehrmals eine Sunna râtiba (festes und regelmäßiges Sunna-Gebet) verbieten, so hat es ihnen zu gehorchen. Wenn das Verbot jedoch permanent gemeint ist, so gehorcht es ihnen nicht, da hierin eine Aushöhlung der Scharîa liegen würde. Und darin hat er ihm Recht gegeben.“

Und Allâh weiß es am besten!
 

www.islamweb.net